Forschung
Dipl.-Ing. Jens Jerzembeck; Geschäftsführer Forschungsvereinigung Schweißen und verwandte Verfahren e. V. des DVS - Photo: DVS Forschung
12.12.2022

Weltweit größtes Forschungsnetzwerk akut gefährdet

Die IGF – es sind drei Buchstaben, hinter denen das weltweit größte Forschungs- und Entwicklungsnetzwerk kleiner und mittelständischer Unternehmen steckt. Mehr als 25.000 Unternehmen, überwiegend KMUs, und 1.200 Forschungseinrichtungen sind aktuell in das Förderprogramm der „Industriellen Gemeinschaftsforschung“ (IGF) eingebunden. Sie arbeiten in zur-zeit 1.900 Forschungsprojekten daran, dass Deutschland künftig bei Themen wie Mobilität, Material-forschung, Energieeffizienz und Nachhaltigkeit die Nase vorn hat.

„Ein Erfolgsmodell der vorwett-bewerblichen Kollaboration und des Technologie-Transfers, das in seiner Struktur weltweit einmalig ist und einen elementaren Beitrag zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit am Innovations- und Technologiestandort Deutschland leistet“, so Dipl.-Ing. Jens Jerzembeck, Geschäftsführer der Forschungsvereinigung Schweißen und verwandte Verfahren e. V. des DVS, kurz DVS Forschung.

Der Düsseldorfer leitet eine von insgesamt 100 Forschungsvereinigungen, die Teil der IGF sind und allein durch die Beiträge ihrer Mitglieder finanziert werden. Die von ihnen initiierten Forschungsprojekte wurden seit 1958 mit Mitteln aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) als industrienahes Instrument der Innovationspolitik im Bereich der angewandten Forschung gefördert. Durch dieses Vergabemodell, das Mittel auf Antrag der Forschungsvereinigungen bewilligt, ist sichergestellt, dass die einzelnen Projekte eine hohe Branchen-relevanz haben und ihre Ergebnisse den Unternehmen der Branche zur Verfügung gestellt werden. Insgesamt 200 Mio. Euro stellte das BMWK dafür im laufenden Jahr zur Verfügung.

Doch mit diesem Erfolgsmodell könnte künftig Schluss sein, fürchtet Dipl.-Ing. Rainer Salomon, Geschäftsführer der FOSTA - Forschungsvereinigung Stahlanwendung e. V.: „Im Koalitionsvertrag heißt es zwar, dass die Forschungsvereinigungen gestärkt und weiterentwickelt werden sollen. Ende Juni haben wir jedoch auf ‚kaltem Weg‘ davon erfahren, dass das BMWK das bestehende Förder-programm in der jetzigen Form beenden will. Was derzeit hinter verschlossenen Türen ausgearbeitet wird, ist völlig unklar. Auf Anfrage wurde uns lediglich mitgeteilt, dass zurzeit eine Neuordnung des Programms in Vorbereitung sei.“

Sie soll bereits zum 1. Januar 2023 in Kraft treten.

Dazu Jerzembeck: „Zu keinem Zeitpunkt wurden die Forschungsvereinigungen in den Entscheidungs-prozess einbezogen. Wir sind besorgt, dass damit ein über Jahrzehnte gewachsenes Forschungsnetz quasi im politischen Handstreich ohne Not zerstört wird.“

„Ein innovativer Mittelstand ist für die nachhaltige Zukunftsfähigkeit der deutschen Wirtschaft ein entscheidendes Asset, gerade bei den Themen Ressourceneffizienz, Klima und Energie, Mobilität und Digitalisierung“, sagt Jerzembeck.

Investitionen in die Innovationskraft zu reduzieren, sei angesichts der aktuellen wirtschaftspolitischen Herausforderungen nicht der richtige Weg:

„Der Staat investiert bereits jetzt zu wenig Mittel in die mittelstandsorientierte Branchenforschung“, so Jerzembeck.

Deren Relevanz unterstreicht die DVS-Präsidentin Dipl.-Betriebsw. Susanne Szczesny-Oßing: „Wir leben von der Technologieführerschaft, die durch Forschung praxisnah sichergestellt sein muss. Mit gut 25 Mrd. Euro Umsatz ist die Branche europaweit führend.“

Insgesamt 429.000 Beschäftigte sind derzeit in ihrer Branche tätig.

„Die Forschungsprojekte, an denen wir derzeit in der FOSTA arbeiten, sind zukunftsweisend, beispielsweise im Bereich der Brennstoffzelle, der E-Mobilität oder der Offshore-Windenergiesysteme“, bestätigt Salomon.

Zu diesem Ergebnis kommt auch die im Auftrag des heutigen BMWK im Jahre 2021 vorgelegte Evaluierung der IGF-Forschungsprojekte. Dort heißt es:

„Primäre Zielgruppe des Förderprogramms sind kleine und mittlere Unternehmen (KMU), die aufgrund ihrer geringen Größe zumeist nicht in der Lage sind, Forschungsaufträge an externen Forschungsstellen zu finanzieren oder eigene Forschungsabteilungen zu unterhalten. Die IGF bietet ihnen Zugang zu neuesten Erkenntnissen für die Weiterentwicklung von Produkten, Verfahren und Dienstleistungen – wichtige Voraussetzungen für den Erhalt und die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der KMU.“

Sie leisten darüber hinaus einen essenziellen Beitrag zur Förderung des Forschungsnachwuchs: Jährlich mehr als 600 Ingenieure gehen aus den Forschungsprojekten hervor:

„Nachwuchs, der in der Industrie händeringend gesucht wird“, so Salomon.

„Mehr Fortschritt wagen, heißt für uns, es gemeinsam zu wagen. Denn das ist ein Teil der DNA der Industriellen Gemeinschaftsforschung“, so Jerzembeck. „Mit den Forschungsvereinigungen verfügt Deutschland über ein Forschungsnetzwerk, um das uns die Welt beneidet. Wir sollten alles daransetzen, dass auch künftig der Brückenschlag von der Forschung in die Anwendung optimal gewährleistet ist und dort feinjustiert wird, wo es nötig ist – gemeinsam mit allen Beteiligten, an einem Tisch.“

(Quelle: DVS Forschung)

Dipl.-Ing. Rainer Salomon; Geschäftsführer FOSTA – Forschungsvereinigung Stahlanwendung e. V. - Photo: FOSTA
Photo: FOSTA

Schlagworte

BMWBSWBundDeutschlandDigitalisierungEnergieEnergieeffizienzEntwicklungErgebnisEssenEUForschungForschungsprojektFostaIndustrieINGInnovationInvestitionKlimaKlimaschutzLEDNachhaltigkeitNachwuchsOffshorePolitikStahlStahlanwendungUnternehmenUSAWettbewerbWirtschaft

Verwandte Artikel

30.04.2024

Gianpietro Benedetti, Präsident der Danieli-Gruppe, verstorben

Mehr als 60 Jahre lang hat Gianpietro Benedetti Leidenschaft für Innovation bewiesen. Mehr als 80 Patente hat der Entwickler der Danieli-Gruppe am 28. April im Alter von...

AIST Anlagen Anlagenbau Danieli Danieli S.p.A. Entwicklung EU Flachstahl Forschung Inbetriebnahme Industrie ING Innovation Italien Karriere Konstruktion Maschinenbau Metallindustrie Patent Produktion Stahl Stahlerzeugung Stahlproduktion Technik Transformation Transformationsprozess Umwelt Unternehmen Vertrieb Walzen Walzwerk Warmwalzen Wettbewerb Wirtschaft
Mehr erfahren
Zink aus Kokkola von Boliden
30.04.2024

Niedax setzt in der Produktion auf CO₂-reduziertes Zink

Ab diesem Jahr wird die Niedax Group erstmals „Low-Carbon Zinc“ der Firma Boliden in der eigenen Feuerverzinkerei am Standort St. Katharinen (Rheinland-Pfalz) einsetzen.

ABB Anlagen CO2 Emissionen Energie EU Gesellschaft Industrie ING KI Klima Klimaschutz Produktion Rohstoffe Unternehmen USA Wirtschaft Zusammenarbeit
Mehr erfahren
Lobby des Hauptsitzes von Cremer Erzkontor in Lübeck
30.04.2024

Cremer Erzkontor gründet Unternehmen für Vertrieb von Kyanit

Cremer Erzkontor GmbH & Co. KG aus Lübeck, Deutschland, freut sich, bekannt zu geben, dass mit Wirkung zum 1. April 2024 die Vertretung der Kyanit Mining Corporation in G...

Automobil Deutschland Entwicklung EU Großbritannien Handel Industrie ING KI Lieferketten Logistik Ltd Ltd. Mining Recycling Unternehmen Vertrieb
Mehr erfahren
Grafik der SALCOS-Direktreduktionsanlage. Im Hintergrund das Stahlwerk der Salzgitter AG.
29.04.2024

Steuler mauert DR-Anlage bei SALCOS feuerfest aus

Steuler hat den Auftrag für die komplette feuerfeste Ausmauerung der DR-Anlage im Rahmen von SALCOS erhalten. Die Gruppe hat sich bereits vor Jahren als Technologiepartne...

Anlagen CO2 Dekarbonisierung Direktreduktion Emissionen Erdgas EU IMU Industrie ING KI Klima Produktion Roheisen Salzgitter Salzgitter AG Stahl Stahlherstellung Stahlindustrie Stahlproduktion Temperatur Transformation Wasserstoff Wasserstoffbasiert Werkstoff Werkstoffe
Mehr erfahren
26.04.2024

Tatas Service Center ist CO₂-neutral für Scope 1 und 2

Tata Steel Nederlands Service Center in Gelsenkirchen hat CO₂-Neutralität in seinen Produktionsprozessen für Scope-1- und Scope-2-Emissionen erreicht.

Automobil Bauindustrie Blech Bleche Bund Coils Deutschland Emissionen Energie Essen EU IJmuiden Industrie ING KI Kreislaufwirtschaft Nachhaltigkeit Niederlande Produktion Produktionsprozess Profile Rohre Service Stahl Stahlcoil Stahlunternehmen Tata Steel Transport Umwelt Unternehmen Wirtschaft Zertifikat
Mehr erfahren